Das Gespräch führte die Projektmitarbeiterin Sophie Bärtlein (open mind) am 31.03.2023.
Sophie: Liebe Ümmü, schön, dass wir uns heute sprechen können. Magst Du dich und eure Arbeit kurz vorstellen?
Ümmü: Ich bin Ümmü Türe. Ich bin eine der Mitbegründerinnen der Dokustelle. Wir haben das als Projekt gestartet. 2017 wurden wir dann ein eingetragener Verein. Es hat 3 Jahre gedauert, bis das institutionalisiert wurde und ich bin derzeit die stellvertretende Ob-Frau, also Geschäftsführung. Ich mache aber im Verein auch die psychosoziale Beratung. Dazu zählt Community- und Netzwerkarbeit, weil viele Betroffene von antimuslimischem Rassismus z. B. auch gesundheitliche Benachteiligung erfahren und das nicht als Rassismus erkennen, weil sie denken, dass das der Normalzustand ist.
2020 haben wir unsere erste große EU-Förderung. Dabei waren wir mit einem Verein in Deutschland in Kooperation, mit CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Das hat sich geändert seit 2022. Jetzt haben wir unsere erste nationale Förderung. Ich muss auch sagen, dass wir am Anfang unserer Zeit sehr oft sehr viel international unterwegs waren. In Österreich war das Thema nicht relevant beziehungsweise kann ich sagen, dass es heute noch immer ein wichtiges Thema ist. Aber wir haben eben 8 Jahre gebraucht, bis wir jetzt – zumindest ich für die Arbeit, die ich ehrenamtlich gemacht habe, bezahlt arbeiten kann. Das ist ein Meilenstein. Es ist gut, zu sehen, dass die Arbeit, die wir machen, extrem relevant ist. Das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stand für Betroffene, die diese Arbeit machen.
Bei uns geht es sehr viel um Empowermentarbeit, um Bewusstseinsbildung, um Aufklärungsarbeit sowohl auf der politischen Ebene als auch in der Community. Bei uns gehen zwei unterschiedliche Arbeitsbereiche Hand in Hand: Einmal schauen wir, was sind die Ursachen für antimuslimischen Rassismus und dann, wie wirkt er sich auf die Communities, auf die Personen aus.
Zu unserem Team: Wir haben zu viert gestartet damals, jetzt sind wir 15 Personen.
Wir haben insgesamt 5 bis 6 Personen, die für die den Verein arbeiten und wir haben noch ehrenamtliche Kolleginnen, die uns unterstützen.
Wir sind damals gestartet, weil wir Zahlen und Statistiken haben wollten, um das Phänomen sichtbar zu machen. Wir sind immer mit der Gegenfrage konfrontiert worden, dass es keine Zahlen gibt und dass diese Fälle nur Einzelfälle sind. Wir wollten dann sagen: „Nein, das sind keine Einzelfälle, diese Fälle passieren tagtäglich!“ Durch die Zahlen hat man das Thema und auch das Phänomen sichtbar gemacht.
Reporting gehört zum wichtigsten Aufgabenbereich. Damit sind wir die Hälfte des Jahres beschäftigt. Unser Report kommt im Mai heraus und wir sind gerade in der Endphase unseren Report zu produzieren.
Sophie: Ich würde gern noch Fragen zur Förderung stellen: Ist das im Rahmen eines Ministeriums?
Ümmü: Ja, genau. Diese Anträge zu stellen, ist ja zeitaufwändig. Deswegen haben wir versucht, in einem Jahr sehr viele Anträge zu schreiben auf der EU-Ebene und in Österreich. Wir haben diesen Antrag an das Sozialministerium gestellt und haben jetzt drei bezahlte Teilzeitstellen. Das ermöglicht uns, ein Büro zu haben. Vorher hatten wir in einer sehr prekären Situation gearbeitet. Zudem kriegen wir vereinzelt kleine Förderungen, Projektförderung, von der Stadt Wien.
Sophie: Ich habe das Gefühl, zumindest von Deutschland aus und das hat was mit der Sprache zu tun, dass man relativ schnell auch auf euren Report stößt und eure Arbeit sehr gut funktioniert.
Mich würde interessieren, wie das im österreichischen Kontext ist. Kommen da auch Journalist*innen auf euch zu, oder wenn ihr ihn vorstellt? Und ob sich das in den letzten Jahren verändert hat?
Ümmü: Auf jeden Fall. Am Anfang war das keine Selbstverständlichkeit. Man fällt halt ungut auf, wenn man die Regierung kritisiert. Wir kritisieren natürlich die Regierung und auch die Strukturen, die Rassismus verursachen.
Am Anfang hatten wir international eine bessere Vernetzung. In Österreich ist es seit 3-4 Jahren mittlerweile ein Thema. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Österreich sind gut vernetzt. Es ist mittlerweile selbstverständlich, dass es die Dokustelle gibt, dass sie ein Teil dieser Menschenrechtsorganisationen ist. Auf der politischen und medialen Ebene ist es nicht unbedingt ein Thema, außer wir machen eine Pressekonferenz und laden Journalistinnen ein. Für Beiträge z. B. nutzen sie schon ab und zu unsere Daten. Aber das ist nicht sehr oft. In der NGO Szene ist die Dokustelle mittlerweile selbstverständlich bekannt. In der „Dominanzgesellschaft“, also die Medien, die Politikerinnen bestimmen ja die Diskurse und die Diskurse sind leider sehr rassistisch. Dort ist es nicht unbedingt so, was man die Dokustelle gern sieht. Aber es gibt auch einige Journalist*innen, die versuchen diese Narrative zu dekonstruieren.
Sophie: Da würde ich mal mit einer Bestandsaufnahme zur Situation in Österreich oder den Debatten, die Österreich gerade prägen, starten. Inwiefern wirkt sich antimuslimischer Rassismus gerade in politischen Debatten in Österreich aus? Gibt es Narrative, die besonders stark sind?
Ümmü: Also die Politik in Österreich ist schon ein treibender Faktor, um antimuslimischen Rassismus zu produzieren und zu reproduzieren. Wir haben unsere erste große öffentliche, mediale Aufmerksamkeit gehabt im Jahr 2017 durch unsere Demonstration gegen das geplante Kopftuchverbot. Das wurde dann gekippt vom Verfassungsgerichtshof, zumindest wenn es um die Schülerinnen geht. Der hat gesagt, dass Schülerinnen in den Volksschulen als eine Religionsgruppe herausgepickt werden und das ist halt rechtswidrig.
Also wenn es um diese religiösen Aspekte geht, geht es halt immer um die muslimische Community und alle anderen Religionscommunitys werden ausgeklammert. Das zeigt deutlich, dass es nicht um das Wohl des Kindes geht, sondern eine politische Motivation dahintersteckt.
Danach hat sich das leider verschlechtert, weil wir in Österreich eine Regierungskonstellation aus Mitte-Christlich und Rechts haben. Unter dieser Koalition wurde das Anti-Terror-Gesetz erlassen. Darin werden Musliminnen als eine Gefahr dargestellt. Die heutige Sicherheitspolitik ist für Musliminnen sehr gefährlich. In der Mehrheitsgesellschaft besteht die Annahme, dass es mehr Tools geben sollte, Muslim*inneren zur überwachen, weil sie angeblich ein Sicherheitsrisiko darstellen. Diese Annahme wird natürlich auf der politischen Ebene produziert.
Laut unseren Beobachtungen der letzten Jahre oder in der Arbeit der Dokustelle wird es eigentlich schlimmer und schlimmer.
Sophie Bärtlein: Ich habe über die Frage nachgedacht, inwiefern historische Entwicklungen eines jeweiligen Landes Rassismen oder in dem Falle antimuslimischen Rassismus beeinflussen können. Wenn ich zum Beispiel auf den deutschen Kontext blicke, spielt die „Gastarbeit“, eine sehr große Rolle. Sie prägt immer noch einen klassistischen Blick auf Muslim*innen in Deutschland. Dann natürlich, nah dran an der Gegenwart, 9 / 11, aber es gibt auch den ganz kulturalistischen rassistischen Diskurs über den sogenannten „Orient“, der immer noch so nach ebbt. Zudem gibt es in Deutschland diese Idee von einer christlich geprägten Leitkultur, die kulturelle und historische Wurzeln hat und die sich vermeintlich nicht vereinbart mit irgendwas, das nicht in diesen christlichen Kontext angesiedelt ist.
Also ich habe das Gefühl, es gibt so historisch religiös legitimierte Stränge, die in die Gegenwart einfließen. Welche, würdest Du sagen, sind im österreichischen Kontext die dominantesten, prägendsten Erzählungen, die immer wieder aufploppen?
Ümmü: Ich glaube, dass es schon Ähnlichkeiten gibt. Der Unterschied ist: Österreich war kein Kolonialland. Allerdings gibt es dieses Phänomen von „Grenzorientalismus“. Österreich hat mit Bosnien eine Beziehung und aufgrund von Bosnien mit seiner muslimischen Bevölkerung hat Österreich ab 1912 das Islam-Gesetz eingeführt. Darin hat es bestimmt, dass Muslim*innen Religionsfreiheit haben in Österreich und ihre Religion frei auszuüben können und ihnen die Sicherheit gegeben, dass sie ein Teil dieser Republik sind.
Aber das Problem ist, dass 2015 das Islamgesetz in Österreich von 1912 novelliert wurde. Das hat damit zu tun, dass eben wir in einer globalen Welt leben und sehr viele internationale Ereignisse Einfluss haben, auch auf die nationalen politischen Diskurse. Diese Novellierung war eine Benachteiligung. Wo zum Beispiel? Es wurde ein Imam-Register vorgeschlagen. Bestehende Rechte wurden eingeschränkt.
Darum haben sich nach 2015 sehr viele muslimische zivilgesellschaftliche Organisationen und Einzelpersonen zusammengetan und einen Aktivismus gestartet. Sie stammen von der 2. und 3. Generation Musliminnen, die Nachfolge der Gastarbeiterinnengenerationen. Ich glaube, da gibt es einen Umbruch. Wie du gesagt hast, es gab eben diesen kulturellen Rassismus, der war ethnifiziert und ist dann übergeschwappt auf Muslim*innen. Ich glaube, das ist ein Trend weltweit, wenn es um „War and Terror“ geht. Dieses Konzept von „War and Terror“ wird national mit diversen Instrumenten adaptiert. Leider hatten wir 2020 einen Anschlag in Wien, einen terroristischen Anschlag. Dabei hatte das Innenministerium eigentlich sehr viele Hinweise dafür, dass der Täter sich zum Beispiel Waffen besorgt hat. Das war alles bekannt und trotzdem hat der Staat den Anschlag nicht verhindern können, weil sie damit beschäftigt waren, muslimische Familien zu überwachen.
Daraufhin ist die „Operation Luxor“ passiert, bei der 60 Familien auf brutalste Art „XXX“ (spricht unverständlich) wurden, also „XXX“ (spricht unverständlich) wurden. Das war eine Woche nach dem Terroranschlag. Eigentlich stand es in keinem Zusammenhang, aber es wurde korreliert, als ob das die Antwort wäre. Dadurch wird ein Narrativ produziert: „Wir haben in Österreich ein Problem mit muslimischen Familien.“ Das waren meistens Familien, die Community Leader waren, die in den Communities aktiv waren. Das waren Wissenschaftler. Das waren Vorzeigepersonen. Was sagt das? Was vermittelt das für eine Message, wenn man Communitys kriminalisiert und stigmatisiert.
Deshalb werden ja auch Safe Spaces wie in Communities, Moscheen, Verein extrem stigmatisiert und kriminalisiert. Da hat es in diesem Zuge in den letzten Jahren sehr oft medial aufgebaute Moscheeschließungen gegeben seitens der Regierung. Diese würden ja gegen radikale Tendenzen unter dem Deckmantel politischer Islam vorgehen. Das ist gerade der Diskurs in Österreich. Dabei kann niemand ganz definieren, was politischer Islam sein soll.
Unter diesem Deckmantel werden einfach Personen überwacht. In der Mehrheitsgesellschaft gab es eine Umfrage letztes Jahr, in der natürlich aufgrund von diesen Narrativen die Menschen sagen, – und das sehen wir auch in unserer momentanen Arbeit, die deckt sich eigentlich mit der Studie – dass mehr als 50% der Menschen sich wünschen, Muslim*innen genauer zu überwachen.
Und was macht das mit diesen Personen? Diese Frage ist auch noch so ein Thema.
Sophie: Ich habe, während du gesprochen hast, überlegt, ob es wohl so eine Art zivilgesellschaftliches Aufbegehren gegen diese Operation gab?
Ümmü: Überhaupt nicht. Also bezüglich „Operation Luxor“ in keiner Weise. Die meisten Personen wissen sehr viel nicht darüber. Ich glaube, dass die Herausforderungen in Österreich sind, dass wir uns schon in einer Blase bewegen. Die ist meistens links, dann natürlich die migrantische, marginalisierte Community, die sich gegenseitig unterstützt. Wenn ich das so sagen darf, gibt es in Österreich eigentlich keine Opposition, wenn es um diese rassistischen Diskurse geht. Man kann politisch eigentlich nur Vorteile daraus ziehen, wenn man diese rassistischen Narrativen produziert. Es gibt nur vereinzelt Politikerinnen, die antimuslimischen Rassismus beim Namen nennen. Sehr viele scheuen sich davor, allein diesen Begriff zu nutzen, weil sie Angst haben, Wählerinnenstimmen zu verlieren. Also es ist ein trauriges Bild, würde ich sagen.
Sophie: Dieses Islam Gesetzes gibt es aber immer noch?
Ümmü: Das Gesetz gibt es immer noch. Es wurde adaptiert mit bestehenden Vorteilen zu jetzt eigentlich Nachteilen.
Sophie: Das finde ich voll interessant. Davon habe ich noch nie gehört, v. a., dass es extra ein Gesetz für eine religiöse Gruppe gibt. Man könnte ja auch überlegen, ein Gesetz für religiöse Grundrechte zu machen.
Ümmü: Genau, das bestehende, eigentlich tolle Islam-Gesetz, das wir hatten, wurde novelliert zum Nachteil. Zwar nicht komplett alles, aber einige Sachen wurden an unsere heutigen, veränderten Kontexte adaptiert. Dabei geht es natürlich um Sicherheitspolitik. Das muss man genauer beobachten. Es wird halt ein Diskurs produziert, der sehr bedenklich ist.
Sophie: Dann komme ich auch schon zu meiner letzten Frage. Ich habe das Gefühl, ihr sitzt an der Hauptarbeitsstelle, für die notwendigsten politischen Schritte, aber auch mit Blick auf Förderungen von Bildung oder Community Arbeit. Vermutlich gibt es da verschiedene Ebenen. Was würdest du sagen, muss jetzt eigentlich in den nächsten Jahren passieren?
Und daran anknüpfend: Wo siehst du die Rolle von politischer Bildung, sowohl von Menschen, die sogenannte Betroffene sind, aber auch Menschen, die eben nicht betroffen sind.
Ümmü: In erster Linie müssten Entscheidungsträger*innen sehen, dass wir dieses Problem haben und antimuslimischen Rassismus beim Namen nennen. Wenn sich öffentlich Menschen dazu äußern, wenn wir das Problem anerkennen, wenn wir schauen, dass dafür auch politische Bilder da sind, antirassistische Gesetze, Programme und Projekte entwickeln, würde das sehr viel in der Gesamtgesellschaft machen. Denn: Antirassismusarbeit ist noch immer die Arbeit der Zivilgesellschaft.
Wir haben natürlich ganz grundlegende Gesetzesentwürfe, nach denen ein Mensch aufgrund seiner Religionszugehörigkeit et cetera nicht diskriminiert werden darf. Und es gibt auch zum Glück diese Gesetze. Aber wenn es um die Narrative geht, gibt es leider zu wenig Personen, die sich klar positionieren. Beispielsweise gibt es immer wieder Anschläge auf Moscheen. Da ist es bis heute noch nie passiert, dass sich Politikerinnen dazu geäußert und es verurteilt hätten. Das passiert in keiner Weise. Das zum Ersten.
Zum Zweiten: die Antirassimusarbeit und in unserem Fall die antimuslimische Rassismusarbeit tragen die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Diese werden gar nicht gefördert. Bei uns ist es jetzt das erste Mal. Es ist die Frage, ob das weiter gehen wird und ob es eine Selbstverständlichkeit ist, die Bildungsarbeit, die die Communities leisten, zu entschädigen.
Ich sehe selbst in meiner Erfahrung, dass sehr viele Personen, die vor 10 Jahren begonnen haben, aktivistische Arbeit und Bildungsarbeit zu leisten, im Burnout landen. Sie sagen: „Ich mache es einfach nicht mehr.“ Das ist eine emotionale Belastung für Menschen, die sowieso am Existenzminimum leben, also Überlebenskämpfe führen, die tagtägliche die Verschränkung von Klassismus, Sexismus, Rassismus … sehen.
Am Anfang meiner Zeit, wo ich sehr euphorisch war, habe ich mich gefragt, warum sich Communitys nicht mehr engagieren. Aber die Communities machen halt ihre Communityarbeit. Das ist auch soziale Arbeit und Care Arbeit, die gar nicht gesehen wird. Und wie du vorhin gesagt hast, wird das immer als eine Bringschuld dargestellt: „Die sollen sich doch integrieren, denn der Staat und die Stadt bieten ja so viel an!“ Aber die Menschen haben andere Struggles und ich glaube, das ist der Punkt, wo die Diskussion extrem falsch läuft. Dadurch kann man Menschen nicht erreichen, weil sie sich nicht als Teil der Mehrheitsgesellschaft sehen, weil sie ständig daran erinnert werden, dass sie einfach nur als ein Problem dargestellt werden. Aber diese Menschen machen so viel enorm emotionale Arbeit, die in keiner Weise wertgeschätzt wird.
Dann versteh ich schon, dass sie diese Antirassismusarbeit nicht machen wollen. Deshalb geht es vielmehr um die Solidarität und Allyship, damit jene Personen das machen, die eben nicht von diesen rassistischen Diskriminierungsstrukturen betroffen sind.
Sophie: Wichtig ist, was Du gesagt hast, dass immer nur bestimmte Teile der Gesellschaft plötzlich in der Bringschuld sind, und die Mehrheitsgesellschaft selbstverständlich nicht.
Ümmü: Ja, genau, das sollte die Norm sein, das muss erreicht werden.
Sophie: Voll. Weil wir gerade bei dem Leitkultur-Thema waren: Gibt es in Österreich auch einen Diskurs über die Frage der Wertekonformität? Also z. B. christliche Werte und nicht christliche Werte und natürlich eine Zuordnung bestimmter Attribute dazu?
Denn ich habe schon das Gefühl, das zieht sich im deutschen Kontext seit Jahren irgendwie durch, diese immer wiederkehrende Diskussion um „Was ist eigentlich Kultur“ und „Was ist unsere Kultur?“ und „Was gehört dazu?“.
Ümmü: Tatsächlich ist es in Österreich nicht so, wie in Deutschland, dass z. B. das Wort „Leitkultur“ existiert. Bei uns wird diese Debatten immer um das Wort „Integration“ geführt. Die Personen müssten sich integrieren, damit sie dort ankommen, wo sie ankommen sollen.
Natürlich – wir haben eine christliche Partei an der Spitze – sind christliche Werte, „österreichische“ Werte die Norm. Alles, was nicht so ist, ist halt sexistisch, verkehrt, rückständig, kriminell, suspekt, verdächtig. Zum Beispiel gab es in Österreich letztes Jahr sehr viele Femizide. Bei den Fällen, bei denen es um einzelne muslimische Männer als Täter ging, flammte dann wieder die Sexismus-Debatte auf. Ungeachtet, dass die Regierung eigentlich die Förderungen für Frauenprojekte gekürzt hatte. Das ist eben eine sehr populistische Diskussion. Eigentlich geht es ja nicht darum, Frauen zu schützen, sondern, es geht darum, das Narrativ zu erzeugen: „Diese Männer sind sexistisch, wir sind weltoffen, fortschrittlich, christlich, modern, zivilisiert und wir haben Feminismus erfunden, wir leben Feminismus, aber alle anderen.“ Damit ziehen sie sich aus der Verantwortung und verorten alles, was schlecht ist bei den anderen. Das macht die Diskussion langfristig sehr schädlich.
Sophie: Danke schön! Ich bin durch mit meinen Fragen.
Falls Du noch sagen willst, ob und wie man euch irgendwie unterstützen kann, falls ihr ein Spendenkonto habt, würde ich das gerne mit aufnehmen.
Ümmü: Mein Appell geht immer an Personen, die nicht davon betroffen sind. Sie sollten ein aktiver Ally sein, wachsam sein und zuhören. Ich glaube, womit die meisten Menschen kämpfen, ist, dass man ihnen nicht zuhört und dass man ihnen nicht glaubt.
Man kann die Arbeit auf jeden Fall monetär unterstützen. Man kann uns spenden, unser Spendenkonto ist auf unserer Homepage: Dokustelle Österreich
Und man hilft uns, indem man unsere Arbeiten und Inhalte teilt und weitererzählt.
Sophie: Danke schön!