Veranstaltungs- und Vortragsreihen 2021


„Mosaik(stücke) Islam – Medienkritik“ – Vortragsreihe

Die Vortragsreihe „Mosaik(stücke) Islam“ widmete sich im Jahr 2021 dem thematischen Schwerpunkt „Medienkritik“.

Nach einem Einführungsvortrag zu antimuslimischem Rassismus in den Medien im allgemeinen, gaben unsere Referent*innen vertiefende Einblicke in die Darstellung muslimisch gelesener Männlichkeit in den Medien sowie zur Präsenz migrantisierter Stimmen in der deutschen Medienlandschaft.

Die Vortragsreihe „Mosaik(stücke) Islam – Medienkritik“ fand in Kooperation mit JUMA e. V. statt.

„»Die Medien?« Antimuslimischem Rassismus begegnen“ von Nava Zarabian, Bildungsreferentin der Bildungsstätte Anne Frank 

Zu Beginn gab Nava Zarabian eine Einführung in den Begriff und die Bedeutung von antimuslimischem Rassismus. Dabei bezog sie sich auf eine Definition von Yasemin Shooman: „Muslime und Menschen, die als Muslime markiert werden, werden als homogene und essentialistische Gruppe konstruiert, im Verhältnis zur ebenfalls konstruierten Eigengruppe als weniger zivilisiert, weniger emanzipiert, weniger frei und weniger fortschrittlich.“

Die Zuschauenden und Nava Zarabian sahen sich gemeinsam zwei Magazin-Cover bekannter Printmedien an, auf denen muslimische Frauen vollverschleiert dargestellt wurden. Die Zuschauenden äußerten ihre Vermutungen zu den Bildern, so zum Beispiel, dass scheinbar versucht wurde, die muslimische Frau als gefährlich, mysteriös oder beängstigend darzustellen.

Dass explizit von antimuslimischem Rassismus gesprochen wird, hat laut Nava Zarabian den Grund, dass bei antimuslimischem Rassismus Menschen einem vermeintlich geschlossenen Kulturkreis zugeordnet werden. Rassismus findet hier also auf kultureller Ebene statt. Antimuslimischer Rassismus zeichnet sich durch drei Hauptaspekte aus:

  1. Es findet eine Homogenisierung statt: Muslim*innen oder muslimisch gelesene Personen werden als ein Kollektiv angesehen.
  2. Es findet eine Essenzialisierung statt: Das „Muslimsein“ wird als das Hauptmerkmal der Identität eine*r Muslim*in betrachtet.
  3. Es kommt zu einer Dichotomisierung: Muslim*innen werden als die „Anderen“ angesehen und nicht dem „Mehrheits-Wir“ zugeteilt.

Warum es wichtig ist, von antimuslimischem Rassismus zu sprechen, zeigen die Auswirkungen dieses Phänomens auf struktureller und institutioneller Ebene. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Phänomen, das sich durch viele Bereiche der Gesellschaft zieht und nicht allein durch Gewalt und Diskriminierung, sondern auch durch „unterschwellige“ Mikroaggressionen gekennzeichnet ist.

Eine Dichotomisierung findet zum Beispiel bei der Kategorisierung von „dem Westen“ und „dem Islam“ statt. So wird „der Westen“ mit bestimmten Werten oder Eigenschaften assoziiert, die im Vergleich zu den zugeteilten Eigenschaften „des Islam“ deutlich aufwertend wirken. Beispiele für Beschreibungen „des Westens“ sind: „fortschrittlich“, „demokratisch“, „aufgeklärt“, „frei“, „gleichberechtigt“ und „christlich“. Im Kontrast dazu findet eine Abwertung „des Islam“ durch Zuschreibungen wie: „barbarisch“, „rückständig“, „unzivilisiert“, „totalitär“, „sexistisch, homophob, antisemitisch“ und „unterdrückend“, statt. Diese Annahmen spiegeln sich auch in der medialen Darstellung „des Islam“ in Deutschland wider, wie Nava Zarabian mittels weiterer Beispiele von orientalisierenden Bildern von Muslim*innen in der Populärkultur, auf Zeitschrift-Covern oder aus Filmszenen verdeutlichte.

Während des Gesprächs zwischen Nava Zarabian und den Zuschauenden kristallisierten sich zudem Parallelen zu Erfahrungen anderer nicht-muslimischer migrantisierter Communities heraus. Zum Beispiel ist aufgefallen, dass in Hollywood-Verfilmungen bestimmte Regionen der Welt durch Farbfilter dargestellt werden, die wiederum meist vorherrschende Stereotype reproduzieren. Zum einen werden warme Filter verwendet, um Wüstengebiete oder heiße Orte darzustellen, die wiederum häufig mit der Vorherrschaft von „Terroristen“ assoziiert werden. Zum anderen werden Actionfilme, die in osteuropäischen Ländern wie Russland spielen und in denen die Antagonisten / Bösewichte meist russischer Herkunft sind, oftmals mit einem kalten Filter bearbeitet.

Nava Zarabian verwies des Weiteren auf Studien, die das gesellschaftliche Klima „messbar“ machen. So zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2019, dass 52% der Befragten in Deutschland den Islam als bedrohlich ansehen. Die „Mitte-Studie“ der Universität Bielefeld zeigt auch, dass 36% der Deutschen folgender Aussage zustimmen: „durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“  Nava Zarabian betonte, dass dieses gesellschaftliche Klima jedoch nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern durch die klassischen Medien vorangetrieben wird. So wurden in vergangenen Talkshows Fragen debattiert wie: „Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?“.

Ein Beispiel für antimuslimischen Rassismus auf institutioneller Ebene ist nach Nava Zarabian der Umgang der Polizei mit den Familien der Opfer von Hanau. Sie erhielten eine sogenannte Gefährderansprache von der Polizei, die beinhaltete, sich nicht den Angehörigen des Täters zu nähern. Zudem vermutete man kurz nach dem Anschlag eine Nähe der Opfer und ihrer Angehörigen zur „Clankriminalität“. Erst später wurde klar, dass es sich um einen rassistisch motivierten Anschlag handelte.

Nava Zarabian hob hervor, dass sich der mediale und politische Umgang mit antimuslimischem Rassismus stark auf das Leben der Betroffenen auswirkt. So werden zentrale Bereiche wie die Wohnungssuche oder der Arbeitsmarkt durch vorherrschende Vorurteile beeinflusst und die von Diskriminierung Betroffenen erleben folgenreiche Nachteile in ihrem Alltag.

Nava Zarabian verwies jedoch auch auf neuere Beispiele in den Medien, die auf Veränderungen im Umgang mit dem Thema Antimuslimischer Rassismus hindeuten: so zum Beispiel die Netflix-Sendung „Patriot Act“ von Hasan Minhaj, in der migrantisierte Stimmen an die Gesellschaft getragen und gehört werden.  Auch in Deutschland lassen sich laut Nava Zarabian einige Veränderungen in der Medienwelt finden: neue Talkshows wie z.B. „Five Souls“ entstehen oder die Kampagne „Meine Rolle im deutschen Film“, die die stereotypisierenden Rollen von migrantisierten Schauspieler*innen in Deutschland thematisiert, gewinnen an Aufmerksamkeit.

Zum Ende des Vortrags präsentierte Nava Zarabian konkrete Handlungsempfehlungen, die antimuslimischem Rassismus in den Medien entgegenwirken können.

  1. Es ist wichtig, eine (rassismus-)kritische Wahrnehmung während des Medienkonsums zu bewahren und antimuslimische Diskurse und Bilder so zu erkennen.
  2. Außerdem ist mehr Solidarität mit Betroffenen von antimuslimischem Rassismus und die Anerkennung ihrer Ausgrenzungserfahrungen essentiell.
  3. Durch kontinuierliche Selbstreflexion der eigenen Denkmuster lässt sich eine zunehmend rassismuskritische Perspektive entwickeln.

Beispiele, in denen diese Handlungsempfehlungen Wirkung zeigen, sind unter anderem wenn eine muslimische Frau mit Kopftuch in einer Elternzeitschrift nicht auf ihr Kopftuch reduziert, sondern ihr Muttersein der Fokus der Darstellung ist. Oder wenn eine Kampfsportlerin, die ebenfalls Hijabi ist, für ihre sportliche Leistung anerkannt wird und ihr Kopftuch nicht thematisiert wird.

Nava Zarabian betonte, dass es weiterer medialer Aufklärung und Offenlegung von antimuslimischem Rassismus bedarf, um die im Vortrag genannten Stereotype und Diskriminierungen zu bekämpfen. So sollten im Blick auf Konsum vor allem Medienkompetenzen frühzeitig gefördert werden.

Castingpolitik(en) und Rollenverteilung – Ein moderiertes Gespräch zur Präsenz migrantisierter Schauspieler*innen in Deutschland“ mit Tua El-Fawwal, Schauspielerin und Raquel Kishori Dukpa, Autorin,
Produzentin, Casting Director

Dies ist ein Ausschnitt aus dem moderierten Gespräch mit Tua El-Fawwal und Raquel Kishori Dukpa.   

Tua El-Fawwal ist eine in Berlin lebende Schauspielerin mit ägyptischen Wurzeln. Sie ist in der Serie „DRUCK” in der Rolle der „Amira” zu sehen, und ist die erste Schauspielerin in Deutschland, die vor der Kamera und privat ein Kopftuch trägt. Außerdem ist sie Preisträgerin des deutschen Schauspielpreis in der Kategorie „Nachwuchs“.   

OM: Tua, du bist bekannt als die erste Schauspielerin Deutschlands, die im Privaten und vor der Kamera ein Kopftuch trägt. Wünschst du dir manchmal, Rollen zu spielen, in denen das Kopftuch oder das Thema Religion nicht oder eher nebensächlich thematisiert werden?

Tua: Ich empfinde es so, dass es ein Problem gibt und man das Problem nicht beheben kann, wenn man es nicht benennt. In diesem Fall ist es fehlende Diversität, in meinem Fall ist es antimuslimischer Rassismus. Das Bild, wie muslimische Frauen dargestellt werden, oder Frauen mit Kopftuch, muss sich ändern. Es müssen mehr Wahrheiten und mehr richtige Lebensrealitäten erzählt werden. Ich bin Schauspielerin und ich wünsche mir, dass sich etwas verändert. Dass ich Rollen spielen kann, in denen Religion oder das Kopftuch gar nicht thematisiert werden. In erster Linie muss sich erstmal das Bild, wie man eine muslimische Frau mit Kopftuch in den Medien, oder im Film und Fernsehen darstellt, verändern. Ich wünsche mir natürlich vom Herzen, dass mein Kopftuch irgendwann keine Rolle mehr spielt und dass ich Rollen spielen kann, in denen ich gar kein Kopftuch mehr trage, sondern vielleicht eine Mütze, oder eine passende Kopfbedeckung.   

OM: Hattest du die Möglichkeit, in deiner Rolle der Amira” eigene Ideen als Resultat deiner persönlichen Erfahrungen mit einzubringen?    

Tua: Ich hatte Glück, dass ich zusammen mit meinem Team an dem Drehbuch gearbeitet habe, das keinen “white bullshit” erzählen wollte. Es war uns allen wichtig, eine von den vielen Lebensrealitäten zu erzählen, dabei hatte DRUCK in der dritten und vierten Staffel auch einen Bildungsauftrag. Wir haben versucht eine Geschichte von einer muslimischen Frau mit Kopftuch zu erzählen, die in einer deutschen Gesellschaft lebt und das bin ich ja. Es war uns auch wichtig Rassismuserfahrungen darzustellen. Das gab es auch in einer Szene mit einer älteren deutschen Dame. Eine gute Beziehung zu Geschwistern darzustellen, das war auch ein Thema. Ich bin die älteste von sechs, darunter drei Jungs. Ich habe eine gute Beziehung mit meinen Brüdern.    

Raquel Kishori Dukpa ist seit 2016 Teil des Filmkollektivs „JÜNGLINGE“. Sie wirkte als Casting Directorin und in der Produktion des vielfach ausgzeichneten Films „FUTUR DREI“, mit und arbeitet an der Jugendserie „DRUCK“ von ZDF/funk.   

OM: Raquel, erzähl uns gerne: Was hat dich in „die“ Medienwelt verschlagen?   

Raquel: Ich bin Teil des Filmkollektivs „JÜNGLINGE“ zusammen mit meinen besten Freunden, Faraz und Paulina. Wir haben alle zusammen studiert und haben währenddessen angefangen Musikvideos zu produzieren, weil wir Lust auf das Medium hatten und selbst viele Musikvideos konsumiert haben. Dann haben wir, ausgehend von der Familiengeschichte von Faraz, zusammen unseren Debütfilm Futur III entwickelt. Eigentlich wollte ich nie etwas mit Film machen, weil ich nie die Vorbilder hatte. Es hat sich dann eher entwickelt, weil wir etwas erzählen wollten und Film dafür ein cooles Medium war. Vorher habe ich Biologie studiert, habe es dann abgebrochen. Film ist daher eher der zweite Weg, den ich dann eingeschlagen habe.    

Wir hatten das Glück, dass nach Futur III viele Anfragen kamen, zum Beispiel auch „DRUCK“. Da habe ich dann auch angefangen das erste Mal zu schreiben. Ich war vorher mehr in der Produktion, in der Organisation und für das Casting zuständig. Bei „DRUCK“ durfte ich dann das erste Mal ein Drehbuch schreiben. Jetzt bin ich Autorin für eine neue Serie. Das macht mir sehr viel Spaß und ich möchte das auf jeden Fall weiter machen.   

OM: Gibt es Thematiken, die dich persönlich am meisten interessieren bzw. die du beim Schreiben am liebsten in den Vordergrund stellst?   

Raquel: Ich interessiere mich sehr für intergenerationale Konflikte, das sind die Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern, oder ihren Großeltern. Mich interessieren auch Themen wie intergenrationale Traumata. Ich glaube, dass die Erfahrungen, die deine Eltern gemacht haben sich in dir weiter forttragen. Ich finde es spannend zu gucken, welche Geschichten wir in uns tragen, welche Kämpfe haben unsere Eltern für uns gekämpft haben und wie wir jetzt damit umgehen. Ich denke auch, dass das Themen sind, die sich Menschen aus zweiten oder dritten Migrationsgeneration stellen. Ich interessiere mich auch sehr für Geschwisterbeziehungen, auch weil ich selbst drei Geschwister habe. Deswegen finde ich Bündnisse zwischen Menschen spannend, die es sich nicht ausgesucht haben. Ich glaube ich würde Thematiken ablehnen, mit denen ich selbst keine Erfahrung habe. Pauschal kann ich das nicht sagen. Es ist aber cool, wenn man es eine Dringlichkeit gibt etwas zu erzählen. Wenn man das Gefühl hat, das ist mir jetzt wichtig zu erzählen, zu diesem Zeitpunkt. Wenn es einen politischen Anspruch hat, einerseits von dem was erzählt wird, andererseits dass die Prämisse des Filmes politisch ist.  

OM: Habt ihr Ideen oder Hinweise, wie ich als Medienkonsument*in insbesondere migrantisch gelesene und muslimische Medienschaffende sowie dazugehörige Formate unterstützen kann?   

Tua:Ich persönlich meide Filme oder Serien, deren Cast komplett „weiß” ist, sodass sie realisieren, dass man auch BIPOC Darsteller*innen hätte einbringen können.

OM: Welche Veränderungen in der deutschen Medienlandschaft und in der Art und Weise, wie Medien gemacht werden wünscht ihr euch?    

Raquel: Ich wünsche mir mehr Sensibilisierung, mehr politische Produktionsfirmen, die Sensibilisierungsworkshops verpflichten für ihre Mitarbeiter:innen. Ich wünsche mir mehr Forschung, mehr diskriminierungskritische Ausbildung in Filmberufen und eine Quote für vor und hinter der Kamera. Vielfalt im Film. Auch die MTV Kampagne, die Tua mitgemacht hat, sind für mich  inspirierende Projekte der letzten Zeit gewesen, die erste Denkanstöße für Veränderung bringen. Jetzt müssen die Leute, die in Machtpositionen sitzen lernen Macht aufzugeben und andere Leute an die Tische zu setzen und neue Entscheider:innengremien zu finden.  

„Muslimische Männer, Männlichkeit und Medien – Über Konstruktion und Funktion von Narrativen“ von Fikri Anıl Altıntaş, Freier Autor und ehrenamtlicher #HeForShe Deutschland Botschafter von UN Women Germany 

„Muslimische Männer, Männlichkeit und Medien – Über Konstruktion und Funktion von Narrativen“- mit diesem Thema beschäftigte sich der Autor Fikri Anıl Altıntaş. Er gewährte mit seinem Vortrag einen spannenden Einblick in seine Arbeit und bildete den Abschluss des Schwerpunktes „Medienkritik“ der Vortragsreihe „Mosaik(stücke) Islam“.

Anıl ist 28 Jahre alt, spricht aus einer cis-hetero Perspektive, lebt und arbeitet als politischer Bildner und freier Autor in Berlin. In seinen Publikationen geht es um Männlichkeit(en), ihre Darstellung und um das Wechselspiel zwischen Männlichkeit und Orientalismus. Dabei interessiert sich Anıl besonders für die (De-)Konstruktion muslimisch gelesener Männlichkeit in Deutschland.

Zunächst sprach Altıntaş über die Bedeutung von „Männlichkeit“ aus seiner eigenen Perspektive. Der erste Zugangspunkt zum Thema Männlichkeit war der Austausch mit seinem Vater darüber, was es heißt ein türkisch gelesener Mann zu sein und als solcher in Deutschland aufzuwachsen. Damit kam für ihn die Frage auf, warum bestehende Stereotypen zu (muslimischer) Männlichkeit existieren und weshalb er sich von manchen Stereotypen emanzipierte, manche aber auch annahm.

Im türkischen Fernsehen wurde das ideale Männlichkeitsbild als „groß, breit gebaut, muskulös, behaart“ abgebildet. Altıntaş verknüpfte dieses Aussehen mit Selbstbewusstsein, das er ebenfalls verkörpern wollte. Anknüpfend daran sprach Anıl über die Darstellung von muslimisch gelesenen Männlichkeiten in den Medien.

Altıntas berichtete zunächst über einen Paradigmenwechsel im Medieninteresse am sogenannten Islam und seinen „Lebenswelten“. Zunächst thematisierte die Berichterstattung vereinzelt religiöser Praktiken und Symbole, z. B. die islamischen Pilgerfahrten. Seit der Iranischen Revolution 1978 existierte ein verstärktes Medieninteresse am Islam. Der Autor beschrieb, dass in Deutschland ab den 70er Jahren vermehrt Berichterstattungen über Lebenswelten von migrantisierten Menschen dominierten, die als sogenannte Gastarbeiter*innen, besonders aus der Türkei, Marokko und Südosteuropa, nach Deutschland kamen. In diesem Kontext seien auch kulturalisierende und marginalisierende Begriffe wie „Parallelgesellschaft“, „Migrationshintergrund“, „Clans“, „Ausländerghetto“, „Bildungsferne“ und „Brennpunkt“ entstanden. Diese Begriffe unterstreichen alle eine Fremdheitskonstruktion sowie die Überlegenheit einer weiß-christlichen Mehrheitsgesellschaft, so Altıntaş. Mit Anreizen wie Rückgangsprämien in den 1980er Jahren für migrantisierte Menschen in Deutschland vertiefte sich diese Abgrenzung noch weiter.

Mit zunehmenden politischen Spannungen in Deutschland begann eine verallgemeinernde Politisierung eines eigentlich heterogenen Komplexes unterschiedlicher Gesellschaften. Der Referent argumentierte, dass Gewalt die mediale Darstellung des „Islams“ prägte, der in Verbindung mit Terror, Misogynie und ethnisch-religiöser Gewalt gesetzt wurde. Dies zeigte sich besonders nach den Golfkriegen, den Kriegen in Bosnien und Serbien und 9/11. Laut Anıl war das Problem hierbei nicht die Thematisierung von Gewalt und Repressionen, die es zweifelsohne gab, sondern die Fixierung darauf. Dadurch entstanden eine zunehmende Politisierung und Kulturalisierung des Islams. Mit dem aufgezeigten politischen Hintergrund widmete sich Altıntas nun einer kritischen Betrachtung der medialen Darstellung von muslimisch gelesenen Männlichkeiten.

Bei der Betrachtung von Titelseiten deutscher Magazine fielen Titel wie „der Staat des Bösen“, „Allah-blutiges Land, blutiger Islam“ oder „die Multi-kulti Lüge“. Es dominieren „visuelle Strategien der Anonymisierung, Homogenisierung und Entmenschlichung“, in der ein vermeintlich inhärentes Gefahrenpotential von Muslim*innen ausginge. Besonders die Darstellung der Silvesternacht 2015/2016 in Köln spiegelte diese Wahrnehmung von „muslimischer Männlichkeit“ wider. Während der Silvesternacht gab es Vorkommnisse sexualisierter Gewalt von Menschen, die in den Medien als „muslimisch“ dargestellt wurden und werden. Laut Altıntaş erzeugte die Nacht eine Verstärkung von kulturalistischen Debatten um muslimische Männer sowie eine Bestärkung bestimmter Narrative. Diese Narrative beinhalten das Bild einer ungezügelten Sexualität, Wildheit und einer anti-westlichen Einstellung. Muslime würden die „Werte und Ordnung“ der deutschen Gesellschaft missachten und seien durch ihr Macho-Charakter getrieben.

Fikri Anıl Altıntaş zeigte auf, wie diese Männlichkeitsvorstellung in Filmen wie Indiana Jones, James Bond und Aladdin als Mittel der Fremdmachung genutzt werden. Hierbei werden muslimische Männer durch Hypermaskulinität und Gewaltbereitschaft, also durch eine Überinszenierung von Männlichkeit, durch Gewaltbereitschaft und misogyn, besonders im Rahmen des Motivs der Unterdrückung von (weißen) Frauen, dargestellt. Im deutschen Film und Fernsehen wurde die Konstruktion dieser Art Männlichkeit durch die Kunstfiguren wie Hakan („Was guckst du?“ von Kaya Yanar, 2001-2005), Cem („Türkisch für Anfänger, 2006) und auch 4Blocks (2017) verkörpert. Im Deutschrap dominierte das Kernmotiv der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Marginalisierung, aus der teilweise eine Überinszenierung von Männlichkeit resultiert, um sozialen Missständen zu kompensieren. Dies wird am Beispiel von Haftbefehl, Bushido als muslimisch gelesenen Männern, oder von migrantisierten Rapper wie Olexesh, Capital Bra oder Elias deutlich.

Anschließend sprach Anıl über die Funktion dieser Darstellungen. Die Funktion der medialen und politischen Konstruktion von muslimisch gelesener Männlichkeit besteht nach Altıntaş darin zu verdeutlichen, dass die „Integration“ dieser Männer der einzige Weg ist, um gesellschaftlich Sicherheit und Frieden zu bewahren. Dem zunächst defizitären Blick auf diese Männlichkeit soll durch staatliche (und mediale) Kontrolle entgegengewirkt werden. „Integration“ wird hier als einzig legitimes Mittel betrachtet, um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen.

Anıl betonte weiterhin, dass Männlichkeitsbilder und vor allem gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie Armut, Bildungsungleichheit und Marginalisierung erst entstehen. Die Folge dessen ist häufig Ethnosexismus, der die Konstruktion einer Fehlerhaftigkeit in Männlichkeitsbildern beschreibt, in denen Probleme einer gesamtgesellschaftlichen (hetero-)sexistischen Gesellschaft auf muslimische Männer projiziert wird.

Abschließend forderte Fikri Anıl Altıntaş die Sichtbarmachung von Anforderungen an Männlichkeiten zu erhöhen. Durch diese Sichtbarmachung soll Geschlechtergerechtigkeit gesamtgesellschaftlich diskutiert werden und vor allem die gelebte Realität einer Diversität muslimischer Männlichkeiten gefördert werden. Dies könne zum Beispiel durch mehr Repräsentation von migrantisierten Menschen auf politischer Ebene geschehen. Außerdem müssten Debatten und Projekte über Ungleichheiten gefördert werden, um in einer postmigrantischen Gesellschaft ohne Rechtfertigung leben zu können.

Für den Vortrag verwendete Quellen:

Intersektionalität, Männlichkeit und Migration – Wege zur Analyse eines komplizierten Verhältnisses In: Sabine Hess, Nikola Langreiter und Elisabeth Timm (Hg.) Intersectionality Revisited: Empirische, theoretische und methodische Erkundungen. Bielefeld: Transcript, 2011.

#dkkontrovers. Ist Männlichkeit toxisch? Große Fragen des 21. Jahrhunderts, Andrew P. Seiler (2020).

Politische Männlichkeit – Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen, Susanne Kaiser (2020).

Rassismus und Repräsentation: das Islambild deutscher Medien im Nachrichtenjournalismus und im Film (Bob, Kai Hafez, 2020).

http://queertopia.blogsport.de/images/mnnliche_Privilegien.pdf.

https://kritische-maennlichkeit.de/was-ist-kritische-maennlichkeit/.

https://movements-journal.org/issues/03.rassismus/10.dietze–ethnosexismus.html.

http://emafrie.de/kritische-maennlichkeit-2/?fbclid=IwAR1wT9RK0IKkUeBxGVSDeOo47NW0jJ1KcLjp5ESL-ZS-GoiHisMMaWahFj8.

https://thebookofman.com/mind/masculinity/what-is-toxic-masculinity/.

„It’s our turn! Gesellschaft Gemeinsam verändern!“

Im Rahmen der digitalen Veranstaltunsgreihe „It’s our turn! Gesellschaft Gemeinsam verändern!“ fanden folgende Veranstaltungen statt:

Gespräch „Young People, strong voices – Ein moderiertes Gespräch zum Aktivismus unserer Zeit“

Junge Menschen aus unterschiedlichen Communities – egal ob kulturell, religiös oder durch andere Gemeinsamkeiten miteinander verbunden – engagieren sich mehr denn je für soziale Veränderungen. Dieses Engagement zeigen sie auf der Straße, in großem oder kleinem Kreis, in der Kunst oder auf Social Media. In dem moderierten Gespräch „Young people, strong voices ” wollen wir über verschiedene Formen und Facetten von Aktivismus sprechen und junge Leute, die nicht nur etwas bewegen wollen, sondern es auch tun, zusammenbringen.

Workshop „How to Know-How? Transkulturelles & -religiöses Wissen und was das überhaupt bedeutet“

Unser Workshop „How to know-how?“ dreht sich um das, was wir alle
brauchen, um zurecht zu kommen: Wissen. In der Veranstaltung wollen wir zum einen über diese sehr unterschiedlichen Formen von Wissen sprechen, die uns prägen. Zum anderen wollen wir gemeinsam überlegen, was die herkömmliche Bildung von dieser Vielfalt lernen kann. Der Workshop möchte religiöses und kulturelles Wissen und Lernen wertschätzen und Mut machen, eigenen Ideen und Erfahrungen zum Thema zu reflektieren und zu teilen.

Die Veranstaltungsreihe war eine Kooperation mit dem Projekt Demokratie, Religion und Vielfaltsdiskurse – ein Spannungsverhältnis?! das von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.