So lautet der Titel des im August 2023 im Rahmen des Projektes open mind – Transnational und communityübergreifend gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit veröffentlichten Papers von Emilia Fabiańczyk. Darin untersucht sie die Antworten einer in Zusammenarbeit mit Dr. Kamilla Schöll-Mazurek entwickelten Online-Befragung über die Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation sowie des Islams und der in Deutschland lebenden Muslim*innen bei in Deutschland lebenden Pol*innen.
Um einen Einblick in die ausführliche Analyse und Antworten auf sich daraus ergebende Fragen zu bekommen, habe ich am 12.12.2023 mit ihr gesprochen. (Romy Kühnert, „open mind“)
Romy: Liebe Emilia, ich freue mich, dass du Zeit gefunden hast, uns dein Paper genauer vorzustellen und Fragen zu beantworten, die sich für uns als Lesende daraus ergeben haben. Wir kennen dich aus unserer Projektzusammenarbeit sehr gut, aber die Leser und Leserinnen nicht. Deshalb: Wer bist du und wie seid ihr im Team zu der Idee gekommen, diese Studie durchzuführen?
Emilia: Ich freue mich auch. Ich habe in „open mind“ eineinhalb Jahre gearbeitet. Insgesamt habe ich seit 11 Jahren in Nichtregierungsorganisationen und im interkulturellen Bereich sowohl in der Bildungs- als auch in der Forschungsarbeit Erfahrungen gesammelt. In meiner Zeit als Bildungsreferentin und Projektkoordinatorin bei einer deutsch-polnischen Bildungsstätte (Schloß Trebnitz) in Brandenburg knüpfte ich Kontakte in der polnischen Community. Meine Arbeit bei „open mind“ verband beide Bereiche – die Erfahrung in der Bildungsarbeit und in der Forschung. Die Idee zur Studie kam aus dem Gedanken heraus, der polnischen Community eine Stimme zu geben und zu erfahren, was ihre Perspektiven auf antimuslimischen Rassismus sind. Zudem wollten wir wissen, wie sich Pol*innen in Deutschland fühlen und wie sie andere marginalisierte Gruppen wahrnehmen.
Romy: Warum ist es so wichtig, in migrantischen Communities für antimuslimischen Rassismus zu sensibilisieren?
Emilia: Wir beobachten den Anstieg von antimuslimischen Übergriffen und die zunehmende Stigmatisierung von Muslim*innen. Antimuslimischer Rassismus und Rassismus im Allgemeinen betrifft sowohl Menschen mit als auch ohne Einwanderungsgeschichte. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle uns mit dem Thema beschäftigen. Auch wenn es paradox erscheint, ist es zudem eine Chance, wenn Gruppen die selbst Diskriminierung erfahren, sich mit dem Thema auseinandersetzen. So können ihre negativen Erfahrungen eine positive Wende nehmen, indem sie erkennen: „Ach so, andere Gruppen erfahren Ähnliches wie ich“. So kann eine erhöhte Sensibilität und Verständnis entwickelt und gestärkt werden.
Romy: Nun, wir sitzen ja hier in Berlin und in Berlin treffen verschiedene migrantische Communities aufeinander. Warum habt ihr euch für in Deutschland lebende Pol*innen als Zielgruppe entschieden?
Emilia: Zum einen sind Pol*innen mit fast 2,2 Mio. die zweitgrößte Migrationscommunity in Deutschland, zum andern gab es pragmatische Gründe. Da ich in dem Projekt gearbeitet habe, verfügten wir über kulturelle, sprachliche Kompetenzen und über den Zugang zu der Community. So war es möglich die Zielgruppe in ihrer Herkunftssprache zu erreichen. Wir haben in unserer Arbeit mehrmals beobachtet, dass das am besten funktioniert. Deshalb war es uns wichtig, die Umfrage auf Polnisch durchzuführen.
Romy: Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Sozialrat und dem polnischen Bundesnetzwerk für Partizipation und Soziales „PartofEurope“ durchgeführt. Wie kam es dazu?
Emilia: Ich arbeite mit Dr. Kamilla Schöll-Mazurek, der Leiterin des Polnischen Sozialrats, schon seit langem in verschiedenen Kontexten. Sie hat einen guten Kontakt mit der polnischen Community durch ihre Beratungs- und Forschungsarbeit. Ich wollte von ihr erfahren, ob sie in ihrer Arbeit beobachtet, was die Perspektiven der polnischen Community zum Thema antimuslimischer Rassismus sind. Dabei haben wir festgestellt: es gibt keine Forschung dazu und wir könnten unsere Kräfte zusammen nutzen, um mehr zu dazu zu erfahren. Der Polnische Sozialrat hat die Gründung vom Bundesnetzwerk für Partizipation und Soziales initiiert. Das ist ein Zusammenschluss von 34 polnischen Migrantenorganisationen in ganz Deutschland. Wir konnten den Fragebogen für die Studie zusammen entwickeln und die Kontakte vom polnischen Sozialrat und von PartofEurope nutzen, um möglichst viele polnischen Migrantenorganisationen und Pol*innen in Deutschland zu erreichen.
Romy: Steigen wir mal in die Studie ein. Eine Leitfrage war: „Welche Erfahrungen machen Menschen polnischer Herkunft in Deutschland?“ Was habt ihr im Wesentlichen herausgefunden?
Emilia: Allgemein würde ich sagen, dass die polnische Einwanderung in Deutschland mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit in der Gesellschaft geworden ist. Pol*innen in Deutschland sind die größte Zuwanderungsgruppe mit 2,2 Mio. Deutschland ist das Hauptmigrationszielland für Pol*innen und sie gelten oft als gut integriert. Es gibt in fast jedem Bundesland einen Polonia-Beauftragten. Ich habe gelesen, dass einige von ihnen behaupten, Pol*innen haben keine Probleme in Deutschland und seien sehr gut integriert, weil sie sich bei ihnen nicht melden. Quantitativ betrachtet mag es am Arbeitsmarkt so erscheinen: die Zahl der aktiven Arbeitskräfte ist hoch und die Arbeitslosenquote ähnlich wie bei den Deutschen. Doch qualitativ gesehen, arbeiten sie oft unter schlechten Arbeitsbedingungen, erfahren Ausbeutung und Diskriminierung, wovon auch viel in unserer Umfrage berichtet wurde. Die Befragten haben darauf hingewiesen, dass sie die Sicherheit in Deutschland sehr schätzen. Gleichzeitig ist ihnen wichtig, polnische Traditionen und ihre polnische Identität zu pflegen. Die größte Schwierigkeit ist, sich integriert zu fühlen. Für viele ist es ein langer Weg, um den gleichen Status an beruflicher oder sozialer Integration wie in Polen zu bekommen. Sprachbarrieren, Diskriminierung aufgrund des Akzents, der Sprachkenntnisse und des Gebrauchs der polnischen Sprache stellen für viele eine weitere Hürde dar. Das war die häufigste Form der Diskriminierung, über die die Befragten berichtet haben.
Romy: Du hast ja gerade über die eigens erlebte Ausgrenzung und Diskriminierung von Pol*innen gesprochen. Ihr habt aber auch gefragt, wie sie andere Minderheiten, insbesondere Muslim*innen in Deutschland wahrnehmen, auch mit Blick auf deren Marginalisierung und Diskriminierung.
Emilia: Ja. Laut der Umfrage werden Muslim*innen in Deutschland von ihnen v. a. positiv wahrgenommen. Die häufigsten Assoziationen sind Normalität und Selbstverständlichkeit von Muslim*innen als fester Bestandteil der Gesellschaft. Ich muss aber sagen, dass sich Einstellungen zu gesellschaftlichen Gruppen in der Sozialforschung nur bedingt erfahren lassen. Wir sprechen hier von dem Erwünschtheitseffekt. Dabei antworten Befragte so, wie Sie denken, dass Sie antworten sollten, um gut auszufallen. Zudem haben viele zugegeben, wenig Wissen über Islam und Muslim*innen zu haben. Gleichzeitig gab es wenig Interesse, mehr zu erfahren.
Romy: Woran, glaubst Du, liegt das? Eine These wäre, dass die eigene Diskriminierungserfahrung die Wahrnehmung für andere marginalisierte Gruppen überlagern könnte.
Emilia: Ja, ich kann mir vorstellen, dass die eigenen Schwierigkeiten, mit denen man als zugewanderte Person zu kämpfen hat, einen Einfluss darauf haben, wie viel Interesse man an anderen Gruppen hat. Gleichzeitig vermute ich, dass es ein Zeichen der Gleichgültigkeit ist. Im besten Fall sensibilisieren Diskriminierungserfahrungen Menschen und fördern Empathie für Andere, stärken die Solidarität. Andererseits könnten sie auch zu Konkurrenz mit anderen Gruppen führen. Beides ist möglich.
Romy: Nun ist es Kern der Arbeit von „open mind“ mit migrantischen Gruppen zu arbeiten und für antimuslimischen Rassismus zu sensibilisieren. Welche Weiterbildungsbedarfe habt ihr herausgefunden?
Emilia: Das war eines unserer Ziele, zu erfahren, an welchen Themen Menschen polnischer Herkunft Weiterbildungsbedarf haben. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass sie das meiste Interesse an Themen haben, die sie selbst betreffen. Das ist auch nicht sehr überraschend. Was v. a. genannt wurde, waren Fortbildungen zu den eigenen Rechten in Deutschland, zur Teilhabe und zum Umgang mit eigenen Diskriminierungserfahrungen. Auf der anderen Seite gab es Hinweise, dass Deutsche zum Thema Antislawismus und Antipolonismus weitergebildet werden sollten.
Romy: Für „open mind“ ist interessant, inwiefern eure Methode übertragen werden kann auf andere Communities innerhalb Deutschlands oder auf polnische Communities in anderen europäischen Ländern. Deswegen meine letzte Frage: Haben sich aus eurer Arbeitsweise, aus euren Erkenntnissen neue Forschungsansätze ergeben oder würdest du eure Vorgehensweise genauso auf die Befragung anderer migrantischer Communities übertragen?
Emilia: Ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, die eigenen Diskriminierungserfahrungen anderer Einwanderungscommunities bei der Rassismusbewältigung zu berücksichtigen. So sollten auch andere Migrationscommunities befragt und ihre Perspektiven auf das Problem erfasst werden, um passende Bildungsangebote zu entwickeln. Gut funktioniert hat, die Community in ihrer Herkunftssprache online, mit Hilfe von bundesweiten Migrantenorganisationen zu befragen. Interessant wäre gewesen, Interviews mit Fokusgruppen oder Einzelvertreter*innen aus den jeweiligen Communities zu führen.
Romy: Es freut mich zu hören, dass es für unser Projekt auch nächstes Jahr noch viel zu tun gibt. Ich bedanke mich für deine Zeit und natürlich auch für deine Arbeit.
Emilia: Sehr gerne. Danke.