Vivir en Berlin
Zu Beginn des Workshops ging es zunächst darum, die Teilnehmenden für das Thema Muslimfeindlichkeit zu sensibilisieren. Dafür wählten die Workshop-Leiterinnen und -leiter die Methode des Biographischen Theaters. Hierbei entwickeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weitgehend alle Bestandteile der Präsentation selbst und bestimmen maßgeblich die Inszenierung. Persönliche Gedanken, Gefühle und Lebenserfahrungen der Teilnehmenden bieten so die Grundlage für das szenische Material, das später wie eine Collage zusammengesetzt wird.
Zunächst befragten die Workshop-Leiterinnen und -leiter die teilnehmenden Jugendlichen nach ihren ersten eigenen religiösen Erfahrungen.
Nach einer intensiven Einstiegsphase, entwickelten die Teilnehmenden durch das Improvisieren ihrer eigenen religiösen Erlebnisse nach und nach eine große Spiellust. So entstand eine erste Szene, die aus der Sicht eines kleinen Kindes den Umgang mit dem Tod des Großvaters darstellt: Alle beten, viele weinen und trösten sich gegenseitig. Das kleine Kind „erlebt“ zum ersten Mal Religion.
Diese erste kleine Szene wurde bei einer Veranstaltung von La Red Ende Juli bereits aufgeführt und fand großen Anklang. Die Teilnehmer waren nun noch motivierter.
Der nächste Schritt war nun, das Thema Islam im Allgemeinen und Muslimfeindlichkeit im Besonderen in die praktische Arbeit einzubinden. Über die Fragestellung welche Religionen es außer der eigenen noch gäbe, kamen die Teilnehmenden schnell zum Islam. Erlebnisse mit Musliminnen und Muslimen wurden zunächst diskutiert und im Anschluss szenisch gespielt. Die eigenen Bilder und Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen, die sich nach der ausführlichen Diskussion herauskristallisierten, übernahm die Gruppe in szenische Entwürfe, um so nah wie möglich an vorhandenen, erlebten Erfahrungen anzuknüpfen.
Nach und nach entwickelten die Teilnehmenden immer mehr Fragestellungen zum Islam bzw. dem muslimischen Leben und so wurde Amine Tasdan, eine praktizierende Muslima, zu einem Theater-Workshop im September eingeladen. Sehr persönlich erhielten die Teilnehmenden einen Einblick in das muslimische Alltagsleben. Amine Tasdan beantwortete praktische Fragen wie z.B. wann, wo und wie gebetet wird und was der Koran im alltäglichen Leben vorschreibt. Heiß diskutiert wurden Themen wie die Selbstbestimmung der Frau im Islam, vorehelicher Sex oder der Umgang mit Homosexualität.
Nach zwei interessanten Stunden wertete die Gruppe die Diskussion aus. Einige Kritikpunkte, die vorher geäußert wurden, haben sich durch das Gespräch bestätigt, einige Fragen wurden geklärt und auch neue Erkenntnisse kamen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinzu.
Die Gruppe beschloss, in den folgenden Stunden bis zur Abschlussveranstaltung die diskutierten Fragen in szenisches Material umzusetzen. Die Szene wird mit den Worten „Ein Gespräch“ eröffnet und löst erst einmal Stimmengewirr aus, welches für den Zuschauer nicht verständlich ist. Auf der Bühne sind drei Musliminnen / Muslime, ein Mormone, ein Agnostiker, Atheistinnen / Atheisten und Katholikinnen / Katholiken zu sehen.
Die Fragen und Antworten, die sich im Gespräch mit Amine Tasdan ergaben, werden zum Spielfeld des Geschehens. Es geht um Angst, Extremismus, Homosexualität, Kopftücher, Sex vor der Ehe… „Ich habe mich für diese Religion frei entschieden. Konntest du wählen?“ „Ich habe Angst vor Muslimen.“ „Ich bin katholisch, bei uns gibt es keine Extremisten.“ „Ist es schön, eine Muslima zu sein?“. Die Antworten werden wie im Gespräch erlebt wiedergegeben.
Schnell fand die Gruppe nun auch das Gesamtkonzept für die bevorstehende Aufführung bei der Abschlussveranstaltung:
Im ersten Teil sollte die bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgeführte Szene dargestellt werden, in der ein kleines Kind seine erste „fühlbare“ Erfahrung mit Religion erlebt.
Im zweiten Teil sollte der mit Amine Tasdan erlebte Gedankenaustausch dargestellt werden.
Die Teilnehmenden entschlossen sich, im 3. Teil lediglich ein kurzes und knappes Statement zum Ausdruck zu bringen: „Wir gehören alle zusammen!“ Durch all die Gespräche und Diskussionen während des gesamten Workshops war es allen Teilnehmenden wichtig zu sagen, dass die Zukunft nur gemeinsam stattfinden kann.
Bei der Abschlußveranstaltung im Oktober, an der alle Teilnehmende der Workshops teilnahmen, wurden die drei Theatersequenzen aufgeführt und mit tosendem Applaus gewürdigt.
Teilnehmende: in Berlin lebende spanischsprachige Jugendliche verschiedener Herkunft im Alter von 16 bis 27 Jahren
Zeitraum: 11 Samstage im Zeitraum Juni – Oktober 2015, jeweils 3 Stunden
Workshop-Leitung: Hanna Essinger, Mirella Galbiatti, Christian Schodos