Mach aus Deiner Geschichte eine Szene!
Gemeinsam mit dem Theater Grotest Maru haben sich die Teilnehmenden unseres diesjährigen Theaterworkshops mit den Themen Muslimfeindlichkeit, Stereotypen und dem „Anderen“ auseinandergesetzt. Ziel des Workshops war es, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie mit Methoden des Körpertheaters im öffentlichen Raum, Vorurteilen gegenüber Musliminnen / Muslimen und Muslimfeindlichkeit entgegengewirkt werden kann.
Ziel des ersten Treffens im Kunsthaus KuLe war es, mittels Übungen zu Vertrauen und Aufmerksamkeit, in der Gruppe eine Atmosphäre der solidarischen Gemeinschaft zu schaffen – über eigene Vorurteile und kulturelle Barrieren hinweg. Ferner wiesen die Workshop-Leiterin Ursula Maria Berzborn und der Workshop-Leiter Sergio Serrano die Teilnehmenden darauf hin, dass sie zwar Struktur, Übungen und thematische Blöcke innerhalb der Workshopreihe vorgeben würden – die Teilnehmenden diese Rahmenvorgaben aber selbst füllen dürften. Der Prozess und die Auseinandersetzung mit dem Thema seien hierbei wichtiger, als der Druck zwingend ein vorzeigbares Resultat zu schaffen.
Im weiteren Verlauf des ersten Moduls, das über drei Tage ging, tasteten sich die Teilnehmenden an das Thema Muslimfeindlichkeit heran. Die Workshop-Leitenden hinterfragten, welche Assoziationen bzw. welche eigenen Erfahrungen die Teilnehmenden mit dem Thema hätten. Stichworte wie „Flüchtlingskrise“ oder „Ergebnisse der Bundestagswahl 2017“ wurden genannt. Auch eventuelle Gründe für Muslimfeindlichkeit wurden diskutiert, so z. B. die Gefahr der Manipulation durch Medien, das Aufkommen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ und die Ereignisse des 11. Septembers 2001.
In zwei weiteren Gesprächsrunden wurde ausgehend von eigenen Erfahrungen und Positionen sehr intensiv über die Rolle der Frau in muslimischen Gesellschaften diskutiert. Die Teilnehmenden stellten fest, dass eine große Unsicherheit und Unwissenheit hinsichtlich des Themas bestand: Welche Rechte hat eine muslimische Frau? Entscheiden sich Musliminnen freiwillig für das Tragen des Kopftuchs und wenn ja – warum? Inwiefern ist ein Kopftuch auch ein Statement? Wird die Sexualität muslimischer Frauen anders behandelt als die muslimischer Männer? Viele Fragen kamen auf und unter den Teilnehmenden entstand der Wunsch nach einem persönlichen Gespräch mit einer praktizierenden Muslima.
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt, der sich während des ersten Moduls herauskristallisierte, war die Auseinandersetzung mit dem eigenen Migrationshintergrund sowie damit einhergehenden Ausgrenzungserfahrungen im Alltag. Die Teilnehmenden berichteten über die ihnen immer wieder gestellten Fragen „Wo kommst du her?“ und „Woher kommst du wirklich her?“ oder „Woher kommen denn deine Eltern?“. Es entstand die Idee einen Fragebogen zu entwickeln und Passantinnen und Passanten auf der Straße genau diese Fragen zu stellen. Insbesondere sollten solche Passantinnen und Passanten befragt werden, die rein äußerlich so schienen, als hätten sie keinen Migrationshintergrund. So sollte ein Nachdenken über die Sinnhaftigkeit dieser Fragen provoziert werden.
Neben der thematischen Auseinandersetzung wurden im ersten Modul des Workshops Methoden des Theaters im öffentlichen Raum vermittelt sowie grundlegende Übungen des Körpertheaters durchgeführt. Eine Übung, die die Teilnehmenden sehr beeindruckte, war z. B. der Zusammenschluss aller zu einer imaginären Seifenblase.
Auf dem Weg in einen nahegelegenen Park musste die Gruppe darauf achten, dass sie in ihrer Blase zusammen blieb und sich nur gemeinsam bewegte. Diese praktische Theaterübung im Stadtraum weckte bei den Teilnehmenden eine große Neugier auf weitere Methoden des Theaters im öffentlichen Raum.
Im zweiten Modul ging es sowohl darum, weitere praktische Übungen des Körpertheaters zu erlernen als auch darum, sich innerhalb der Gruppe mit den sich herauskristallisierten Themenblöcken „Rolle der Frau in muslimischen Gesellschaften“ und „Migrationshintergrund“ auseinanderzusetzen.
Der von den Teilnehmenden gewünschte Besuch zweier gläubiger Musliminnen schuf einen offenen Gesprächsraum, in dem die Teilnehmenden die Fragen stellen konnten, die sie schon immer stellen wollten, wozu ihnen jedoch bisher entweder die persönliche Begegnung mit Musliminnen oder aber der entsprechende geschützte Raum fehlte. Die beiden Musliminnen sprachen mit den Teilnehmenden sehr offen über ihre Erfahrungen mit antimuslimischem Rassismus und von der ständigen Konfrontation mit Vorurteilen – sowie über ihren Umgang damit. Ebenso diskutierten sie über verschiedene Interpretationen bestimmter Koranverse, über ihr eigenes Verständnis vom Islam und über ihre persönlichen Einstellungen zum Kopftuch. Der Besuch der beiden Frauen erweiterte den Blick aller Beteiligten. Es entstanden neue Sichtweisen und der Wunsch sich in Zukunft mehr mit dem Thema Islam zu beschäftigen.
Bei einem weiteren Treffen befragten die Teilnehmenden Passantinnen und Passanten mit dem im ersten Modul entwickelten Fragebogen zum Thema „Migrationshintergrund“. Sie begaben sich in der fiktiven Rolle einer Universitätsstudie an einen öffentlichen Platz. In der Tradition des Unsichtbaren Theaters von Augusto Boal fingen sie mit den Passantinnen und Passanten Diskussionen an, die z. T. sehr kontrovers verliefen und die innerhalb der Gruppe in einer anschließenden Feedbackrunde reflektiert wurden.
Zum Ende des zweiten Moduls bekamen die Teilnehmenden die Aufgabe, bis zum nächsten Treffen zweiminütige Solos zum Thema vorzubereiten, die sie zu Beginn des dritten Workshop-Blocks aufführten. Alle hatten sehr bild- und ausdrucksstarke szenische Ideen entwickelt, die ihre eigenen, authentischen Ängste, Wünsche und auch Irritationen zum Thema zum Ausdruck brachten. Gemeinsam überlegte die Gruppe, wie sie die choreographischen und theatralen Elemente zu einer Szenencollage zusammenführen könnte. Die letzten beiden Workshop-Treffen wurden für Proben genutzt.
Ende Oktober luden die Teilnehmenden Freunde, Familie und Interessierte zu einer ca. 20-minütigen Aufführung ins Kunsthaus KuLe ein. Nach der Präsentation entstand eine angeregte Diskussion mit dem Publikum über Ängste und Fragestellungen innerhalb unserer Gesellschaft zum Thema Muslimfeindlichkeit.
Bei der Abschlusspräsentation aller Workshops, die im Jahr 2017 im Rahmen des Projektes WIR HIER! stattfand, führten die Teilnehmenden eine kleine 5-minütige Sequenz ihrer Theatercollage vor und ernteten großen Applaus.
Teilnehmende: In Berlin lebende Jugendliche verschiedener Herkunft im Alter von 16 bis 27 Jahren
Zeitraum: 8 Termine im Zeitraum September – Oktober 2017, jeweils 4 Stunden
Workshop-Leitung: Ursula Maria Berzborn (Künstlerische Leitung Grotest Maru), Sergio Serrano (Schauspieler Grotest Maru)