Workshop Theater


Frauenbilder – eine theatrale Recherche im öffentlichen Raum

Der Theater-Workshop von Grotest Maru ging der Frage nach, wie mit Methoden des Theaters Vorurteilen gegenüber Musliminnen und Muslime entgegengewirkt werden kann. Neben der Vermittlung von praktischen Theaterübungen sowie Methoden des Körper- und des ortsspezifischen Theaters, stand die Auseinandersetzung mit der Darstellung und der Diskriminierung „der“ muslimischen Frau im Vordergrund. Gemeinsam stellte sich die Gruppe die Frage, wie durch Theater der öffentliche Raum vorurteilsfrei als Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wahrgenommen und bespielt werden kann.

Da der Workshop für Teilnehmende mit Migrationshintergrund angelegt war, war es den Workshopleitenden Ursula Maria Berzborn und Sergio Serrano von Anfang an ein Anliegen, auch unter den Teilnehmenden selbst Vorurteile und kulturelle Barrieren abzubauen. Insbesondere durch Vertrauensübungen und Achtsamkeitstrainings in der Gruppe sollte eine Atmosphäre der solidarischen Gemeinsamkeit in der Gruppe geschaffen werden. Die Teilnehmenden sollten dies als Grunderfahrung und potenziell positive Möglichkeit des Miteinanders aus dem Workshop mitnehmen. Auch war den Workshopleitenden ein kreatives Arbeiten in flachen Hierarchien wichtig. Sie gaben die Struktur, die Übungen und thematischen Blöcke als Rahmen klar vor, aber waren offen dafür, wie die Teilnehmenden diesen Rahmen selbst füllen wollten. Von Anfang an bekräftigten die Anleitenden
des Workshops, dass der Prozess und die Auseinandersetzung mit dem Thema Priorität habe, nicht die Erarbeitung eines vorzeigbaren Resultats. Dies schuf ein Klima für eine freie, inhaltliche und künstlerische Begegnung. Nach jeder Arbeitssession wurde eine Feedbackrunde durchgeführt, sodass eine sofortige Rückmeldung über den Verlauf der jeweiligen Session möglich war und auch die Inhalte für das nächste Treffen besprochen werden konnten. So fühlten sich die Teilnehmenden als Mit-Schaffende und nicht als passive „Workshop-Konsumierende“.

Im ersten Block ging es um ein Kennenlernen der Gruppe. Diese bestand aus Teilnehmenden, die u. a. aus Polen, Schweden, Argentinien, Spanien, Weißrussland, Aserbaidschan und der Ukraine kamen. Die Workshopleitenden vermittelten Übungen des Körpertheaters und des Theaters im öffentlichen Raum und die Gruppe tastete sich gemeinsam an das Thema Muslimfeindlichkeit heran. Die praktischen Theaterübungen im Stadtraum öffneten den Teilnehmenden neue Perspektiven der Theaterarbeit und weckten großes Interesse für weiteres Erforschen theatraler Methoden im öffentlichen Raum. In Gesprächsrunden, in denen die eigenen Bilder von „der“ muslimischen Frau hinterfragt wurden, stellte die Gruppe fest, dass bei fast allen Teilnehmenden eine große Unsicherheit gegenüber dem Thema vorhanden war. Es kamen viele Fragen auf zur alltäglichen Lebensweise von Musliminnen und Muslime und zum muslimischen Glauben. Um diese Fragen zu beantworten, folgte am zweiten Tag ein Gespräch
mit einer Expertin. Die Gesprächspartnerin, selbst gläubige Muslima, diskutierte mit den Teilnehmenden über ihre Auffassung von muslimischem Glauben, über religiöse Identität, Rechte von Frauen, Rollenklischees, (Homo-)Sexualität im Islam und über Diskriminierungen im Alltag.

Am darauffolgenden Tag fand eine Reflexionsrunde zu dieser Begegnung statt. Zum Ende des ersten Moduls gab es ein weiteres Treffen, diesmal mit einem muslimischen Ehepaar. Auch bei diesem Gespräch stand die Darstellung von und Vorurteile gegenüber „der“ muslimischen Frau im Vordergrund. Diesmal erhielten die Teilnehmenden nicht nur Einblicke in eine weibliche, sondern auch eine männliche muslimische Perspektive. Die Gruppe sprach mit dem Ehepaar über religiöse Praktiken in Deutschland und in der Türkei. Sie stellten Fragen wie: Was ist die Aufgabe einer Moschee? Welche Suren des Korans beziehen sich explizit auf die Frau? Welche Verbindungen und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Christentum und Islam? Die beiden Treffen waren eine wunderbare Methode des Lernens und des interkulturellen Austausches und öffneten für alle Beteiligten neue Horizonte.

Im zweiten Workshopblock ging es – neben praktischen Übungen des Körper- und Objekttheaters – um die vertiefende Auseinandersetzung mit Theaterarbeit im Stadtraum sowie um die Vertiefung des Themenkomplexes antimuslimischer Rassismus.

In der Tradition des Unsichtbaren Theaters von Augusto Boal wurde im öffentlichen Raum zu dem Thema improvisiert und es kristallisierten sich einige Szenen heraus, die in einer öffentlichen Workshop-Präsentation gezeigt werden könnten. Im Rahmen der Arbeit im Kunsthaus Kule entwickelten die Teilnehmenden sehr bild- und ausdrucksstarke szenische Ideen, die von den eigenen Fragen, Unsicherheiten, Wünschen und auch Irritationen zum Thema erzählten. Gemeinsam wurde überlegt, wie die choreographischen und theatralen Elemente zu einer Szenencollage verwebt werden könnten. Die Ideen wurden erweitert und das szenische Material teilweise zusammengefasst. Hier war es sehr schön zu sehen, wie die Teilnehmenden bereit waren, ihre Ideen zu teilen und kollektiv weiterzuentwickeln, ohne dass auf solistische Autorenschaft bestanden wurde.

So konnte als Abschluss des Workshops eine Präsentation entstehen, die den Prozess der Entstehung abbildete. Das Publikum gewann einerseits Einblick in die Arbeit mittels Methoden des Objekttheaters, und wurde anderseits Zeuge eines Theaters im öffentlichen Raum, das die Interaktion mit den Passantinnen und Passanten im Stadtraum suchte. Hierzu führte die Gruppe verschiedene Choreographien und Übungen im Kiez durch, in denen Passantinnen und Passanten einbezogen wurden. Dabei behandelte die Gruppe folgende Fragen: Wie verändern sich Wahrnehmungen im öffentlichen Raum? Sind Übungen der rassistischen Diskriminierung übertragbar? Wie schaut eine Öffentlichkeit, ein Zufallspublikum aus Passantinnen und Passanten auf Theater im öffentlichen Raum? Lassen sich daraus Schlüsse ziehen, wie Menschen sich fühlen, die wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer Religion diskriminiert werden? Anhand der durch die Präsentation aufgeworfenen Fragen entstand eine angeregte Diskussion über Unsicherheiten und Fragestellungen bezüglich des Themas der Rolle der Frau im Islam und in unserer Gesellschaft und den damit verknüpften möglichen Assoziationen zur Freiheit oder Eingeschränktheit des alltäglichen Lebens von Frauen im öffentlichen Raum der Stadt.

Teilnehmende: In Berlin lebende Jugendliche verschiedener Herkunft im Alter von 16 bis 27 Jahren
Zeitraum: 7 Termine im Zeitraum Mai – Juni 2018, jeweils 4 Stunden
Workshop-Leitung: Ursula Maria Berzborn (Künstlerische Leitung Grotest Maru), Sergio Serrano (Schauspieler – Grotest
Maru)